Im Frühjahr erscheinen kurz hintereinander die Alben „Tago Mago“ von CAN und „Tanz der Lemminge“ von Amon Düül II. Es scheint also wieder ein großartiges Jahr zu werden. „Aqualung“ von Jethro Tull, „Sticky Fingers“ von den Stones und „L.A. Woman“ von den Doors sind die weiteren Highlights. Es sollten noch einige wichtige LPs in diesem Jahr erscheinen, im Vergleich zu 1970 sind es jedoch, rein mengenmäßig gesehen, deutlich weniger, das läßt nichts Gutes erahnen.
Im März sollen Ten Years After in München auftreten. Blauäugig und gutgläubig rufen wir bei der Plattenfirma an und fragen, ob wir eine Autogrammstunde machen dürfen. Natürlich dürfen wir das. Wir setzen also eine Anzeige in die Abendzeitung. Dann gehen wir aufs Polizeirevier und bitten, schon mal Absperrgitter bereit zu halten, denn wir rechnen mit einem Massenansturm.
Es wird 15 Uhr, es wird 15 Uhr 30, es wird 16 Uhr – niemand von Ten Years After erscheint. Die Band wohnt im Hotel Eden am Bahnhof, also fahre ich dorthin um zu sehen was schief gelaufen ist. Alvin Lee und seine Band sitzen in der Lobby in großen Sesseln, gelangweilt und mit etwas glasigen Augen. Sie haben sichtlich keinerlei Lust, irgendwas zu unternehmen, ganz bestimmt keine Autogrammstunde zu geben.
Enttäuscht fahre ich ins SHIROKKO zurück und male mir aus, wie ich nun die Fans beruhigen soll, die bestimmt in Mengen vor dem Laden stehen und drohen, die Scheiben einzudrücken.
Als ich im SHIROKKO ankomme, traue ich meinen Augen nicht: kein einziger ist gekommen! Das ist also nochmal gut gegangen – aber wir haben nie wieder eine Autogrammstunde gemacht.
Am 3. Juli der Schock: Jim Morrison ist im Alter von 27 Jahren gestorben! Wieder ein Idol weniger…
Auch was Konzerte anbelangt, ist deutlich weniger los. Aber wir lassen uns die gute Laune doch nicht verderben. Schon gar nicht von so ewigen Miesepetern wie Werner Burkhardt, der seine Besprechung eines Konzerts von Pink Floyd beginnt mit „Etwas so Abscheuliches habe ich lange nicht gehört.“ und den Text beendet mit „Wenn das die Zukunft ist, die gerade beginnt, dann wird bald in progressiven Kreisen die Halbbildung ihre hohlen Triumphe feiern“.
Das schreit förmlich nach einer Abfuhr. Ich schicke Herrn Burkhardt also einen langen Brief, schreibe „zu solchem literarischen Schmutz kann ich nur sagen: pfui teufel“ und ich wünsche ihm abschließend „Gute Besserung“. Scheinbar wohnte schon damals in mir ein kleiner Thomas Bernhard.
(Daß ich mich viele Jahre später selbst mal über ein Pink-Floyd-Konzert ärgern würde, kann ich ja noch nicht wissen)
Da machen wir doch lieber unsere Konzerte gleich selbst. Im Kloster St. Bonifaz in der Karlstraße gibt es den sehr weltoffenen, kultur-interessierten Abt Odilo Lechner. Wir mieten den Pfarrsaal des Klosters und veranstalten „Sitar in Concert“, ein Konzert mit Al Gromer (Sitar), Shankar Chatterjee (Tabla) und Bob Eliscu, Oboist der Münchner Philharmoniker und Mitglied der Gruppe Between. Im Vorprogramm tritt ein gewisser Georg Deuter mit seinem Tonbandgerät auf. Ich schreibe in der Ankündigung: „die von ihm produzierten Umweltgeräusche werden zur Entspannung der Zuhörer beitragen und diese für die indische Musik aufmerksam machen“.
Der Eintritt beträgt 3 Mark 50.
Drei Wochen später spielt Frank Zappa mit seinen Mothers Of Invention im Circus Krone. Der Eintritt beträgt 14 und 16 DM. Das veranlaßt uns zur Mitteilung: „da die Eintrittspreise für dieses Konzert ohnehin schon unangemessen hoch sind, haben wir uns entschlossen, dieses Mal keine Vorverkaufsgebühr zu erheben, weil wir an der Profitgier verschiedener Leute nicht teilhaben wollen“.
Solche Pamphlete hingen regelmäßig am Schwarzen Brett im Durchgang zur Plattenabteilung. Trotz vieler Rückschläge wollten wir ja unsere kämpferische Art nicht aufgeben. Wir waren mittlerweile Vorverkaufsstelle geworden, blieben das aber nicht lange, weil wir uns auch mit verschiedenen Veranstaltern anlegten.
Damit endet das Jahr 1971 – das wahrscheinlich aufregendste in der gesamten SHIROKKO – Chronik. Ich verspreche: die nächsten Jahre werden weniger stressig, aber ganz gewiß nicht ruhiger…
Hier sind noch „unsere“ Platten des Jahres 1971
The Doors : L.A. Woman
Diese LP mit dem legendären Song „Riders On The Storm“ sollte das musikalische Vermächtnis von Jim Morrison werden…
Hörproben
Amon Düül II : Tanz der Lemminge
Mittlerweile hat Lothar Meid Falk Rogner am Bass ersetzt, mit dabei sind auch Jimmy Jackson, Al Gromer, Rolf Zacher.
Und Renate heißt jetzt Henriette Krötenschwanz.
Ein legendäres Album.
Hörproben
CAN : Tago Mago
Die vielleicht musikalisch beste deutsche Band der damaligen Zeit (Irmin Schmidt, Holger Czukay, Michael Karoli, Jaki Liebezeit und Damo Suzuki) präsentiert auf dieser Doppel-LP sieben Titel, darunter das 18minütige „Halleluwah“
Hörproben
Jethro Tull : Aqualung
Mir persönlich waren die früheren Tull-LPs lieber, aber
„Locomotive Breath“ war natürlich ein Riesenhit…
Hörproben
Led Zeppelin IV
Das gleiche gilt auch für Led Zep – die Monsterwirkung wie die beiden ersten LPs hat dieses Werk nicht auf mich ausgeübt, aber auch „Stairway To Heaven“ hat alleine schon den Platz im Rock-Olymp sicher
Hörproben
Rolling Stones : Sticky Fingers
Was soll man darüber noch sagen?
Legendäre Band!
Legendäres Cover!
Legendäre Songs wie Brown Sugar, Wild Horses und Sister Morphine!
Hörproben
The Who : Who’s Next
Schon der Opener „Baba O’Riley“ macht deutlich: das ist ein Meisterwerk der Rockgeschichte (auch wegen des cleveren Einsatzes von Synthesizern…) Es geht so weiter, ein toller Song nach dem anderen, bis hin zu „Won’t Get Fooled Again“.
Ganz einfach ein „Hammeralbum“!
Hörproben
nun folgen noch zwei ganz persönliche Lieblingsplatten:
Ian Matthews : If You Say Thro‘ My Eyes
Mit seinem ersten Soloalbum hat Ian Matthews zusammen mit Musikern der englischen Folk-Szene (Fairport Convention) ein wunderbar intimes Werk geschaffen, das mich noch immer tief berührt. Bitte um Nachsicht und Verständnis.
Hörproben
Caravan : In The Land Of Grey And Pink
Ein Meisterstück aus der Canterbury-Szene (deren bekannteste Vertreter die Band Soft Machine war) es verbindet Pop mit Rock- und Jazz-Elementen. Besonders die fließenden Keyboard-Sounds von David Sinclair haben es mir immer noch angetan…
Hörproben
Und nun noch abschließend eine LP – als Hommage an Klaus-Dieter Schreiber,
denn wir waren beide große Fans von Curved Air.
Curved Air Second Album
Das zweite Album von Curved Air war nicht nur musikalisch sehr interessant, es beeindruckte auch durch sein aufwendiges Klappcover. Ich habe damals geschrieben:
Daß mir Klaus in punkto Ehrlichkeit (aber auch gelegentlicher Bissigkeit) nichts nachstand, zeigen seine Rezensionen in unserer INFO vom November 1971:
Weitere wichtige Veröffentlichungen des Jahres:
McDonald & Giles — Janis Joplin : Pearl — Little Feat : Vol. 1 — Yes : Vol. 1 — Emerson, Lake & Palmer : Tarkus — Frank Zappa & Mothers Of Invention : Live At Fillmore East — Fleetwood Mac : Future Games — Jefferson Airplane : Bark — Traffic : Welcome To The Canteen — Pink Floyd : Meddle — Fairport Convention : Babbacombe Lee — Traffic : Low Spark Of High-Heeled Boys — King Crimson : Islands.
Was sonst noch geschah in 1971:
Love Story ist der beliebteste Film des Jahres+++Ilja Richters „Disco“ und Hans Rosenthals „Dalli Dalli“ gehen auf Sendung+++Die erste McDonalds-Filiale eröffnet in München+++Hot Pants und Herrentäschchen werden populär+++Die Münchner U-Bahn fährt im Oktober zum ersten Mal.
Ein Liter Benzin kostet 58 Pfennige. Die Mehrwertsteuer beträgt 11 Prozent.
Gerhard Rühl, 30. Januar 2017
Bevor es in das Jahr 1972 geht, möchte ich kurz die damaligen Zustände auf dem Plattenmarkt skizzieren. Falls Euch das nicht interessieren sollte – hier geht es weiter !