Anouar Brahem

Als Anouar Brahem 1991 die CD Barzakh (bei ECM) veröffentlichte, war ich restlos begeistert, ich hatte ja immer schon ein Faible für arabische Musik. Mit diesem Debütalbum gelang Anouar Brahem ein Meisterwerk in mehrfacher Hinsicht. Er formte eine ganz eigenständige, individuelle Musik, die speziell in den langsamen Stücken mit souveräner Reduktion glänzte. Damit präsentierte er sich als der wichtigste Interpret der Oud, der arabischen Kurzhalslaute, der er bis heute geblieben ist. Und schließlich öffnete Brahem damit vielen Hörern, nicht nur ECM-Fans, die Ohren für neue Klänge.

Im Booklet zu Barzakh schrieb Brahem sinngemäß: „wenn sich die Tradition nicht stets erneuert, trocknet sie aus“. Diesem Motto ist Brahem bis heute treu geblieben. Er ist zwar tief in der Tradition verwurzelt, dennoch stets auf der Suche nach neuen Impulsen. Inspiriert durch viele Kooperationen innerhalb der ECM-Familie überschritt er immer wieder Grenzen und fügte seiner Musik stets neue Elemente hinzu.

Wie die Besetzungen der einzelnen Alben (siehe die Discographie am Ende des Beitrags) verdeutlichen, hat Brahem immer wieder neue Kombinationen und damit auch Stimmungen erzeugt. Lediglich zwei der Alben sind in der gleichen Besetzung aufgenommen (Le pas du chat noir und Voyage de Sahar), doch sind auch diese beiden in ihrer Grundstimmung ziemlich verschieden. Das mag vordergründig so wirken, als sei Brahem auf der Suche nach sich selbst. In Wirklichkeit, das glaube ich zumindest, ist er stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen.

Sein – meiner Meinung nach – bislang bestes Werk präsentierte Brahem im Jahre 2009 mit der CD The Astounding Eyes Of Rita, diesmal mit dem Baßklarinettisten Klaus Gesing und dem fabelhaften Bassisten Björn Meyer, den er aus der Band von Nik Bärtsch „entliehen“ hatte.
Dies ist, das behaupte ich ganz einfach, bis heute eine der schönsten CDs überhaupt. Hin und wieder wurde ich gefragt, welche CD ich mir als einzige aus dem eigenen Laden aussuchen würde – meine Antwort lautete „Brahem, Rita“.  (Kein Wunder war die CD auch bei uns im SHIROKKO ein absoluter Bestseller).

Die Musik lädt den Zuhörer ein auf eine imaginäre Reise, läßt ihm aber das Ziel offen. Selbst bei häufigem Hören gibt es immer wieder neue großartige Momente zu entdecken. Dadurch ist „Rita“ ein wunderbarer Quell für aufmerksames und gleichzeitig entspanntes Hören geworden, eine absolute Empfehlung für jeden Hörer, egal aus welcher musikalischen Ecke er kommt.
Auch wenn Brahem mittlerweile neue Projekte geschaffen hat, tritt er doch immer wieder mit diesem legendären Quartett auf. (Wann immer er in Ihrer Nähe spielt – gehen Sie hin!)

Nehmen Sie sich zehn Minuten Zeit und sehen Sie den Livemitschnitt:

Anouar Brahem Quartet live in Bukarest

Im Film ‚Sounds And Silence‘ gibt es eine bezeichnende Szene: Brahem bekommt eine neue Oud. Wie er das halbfertige Instrument bewundert und streichelt, ist Ausdruck von Liebe und Demut. Anouar Brahem ist sichtlich zufrieden und in sich ruhend. Aber er ist auch rastlos. Er lebt abwechselnd in Tunis und in Paris, er macht sich Sorgen über den Zustand der Welt. So wurde er für sein Werk Souvenance, erschienen 2014, inspiriert durch die Ereignisse des arabischen Frühlings, der in seinem Heimatland Tunesien begonnen hatte. Dieses außergewöhnliche Werk zeigt Brahem nicht nur als Interpret, sondern als Komponist, und es gibt einen Einblick in seine Psyche. Es ist geprägt von Spannung und Ernsthaftigkeit, von Hoffnung und Verzweiflung, von Harmonien und Brüchen – stets aber mit einem lebensbejahenden Aspekt.

Nun, wieder drei Jahre später, hat Brahem ein neues Album veröffentlicht. Es trägt den programmatischen Namen Blue Maqams. Denn in der arabischen Musik gibt es die Musikform des ‚maqam‘, in dem Melodieführung, Rhythmus und Tonalität festgelegt sind, einschließ der Vierteltöne, die es in der „westlichen“ Tonleiter nicht gibt. Dafür gibt es hier den Begriff der „blue notes“, die dem Blues und Jazz seine typische Färbung verleihen.
Damit hat sich Brahem, unterstützt vom Pianisten Django Bates und den Jazz-Legenden Dave Holland und Jack DeJohnette, wieder dem Jazz angenähert und ein weiteres grenzüberschreitendes Werk geschaffen. Ein Werk, das durchaus „kompatibel“ für größere Zuhörerkreise geeignet ist und deshalb sehr erfolgreich sein sollte. Könnte durchaus sein, daß so mancher Hörer damit die Liebe zur Oud und ihrem ganz speziellen Klang entdeckt.
Vielleicht gelingt es Anouar Brahem damit, auch ganz große Häuser zu füllen, wie zum Beispiel die Philharmonie am Gasteig (14.4.2018) und die Hamburger Elbphilharmonie (15.4.2018).

Anouar Brahem hat damit erneut bewiesen, daß er ein wichtiges Mitglied im Portfolio von ECM-Records ist. Denn er ist Individualist und Teamplayer gleichzeitig. Er kann seine Mitmusiker leiten und begeistern, aber er kann auch gut zuhören und von anderen Musikern lernen. Auch deshalb ist Anouar Brahem einer meiner absoluten Lieblingskünstler geworden.

Denn dieser überaus freundliche und zugängliche, dieser nachdenkliche und gleichzeitig lebenslustige Mensch ist eine Instanz, eine Integrationsfigur, ein Idol. Ich bin sehr froh, Anouar Brahem kennen gelernt zu haben, als Musiker und als Mensch. Beides hat mich in vielerlei Hinsicht bereichert.

 

Am 20. Oktober 2017 wird Anouar Brahem 60 Jahre alt.
Alles Gute, Anouar – und vielen Dank für viele schöne musikalische Momente.
Gerhard Rühl, im Oktober 2017

 

Discographie

Barzakh (1991, ECM 1432)
Anouar Brahem (Oud)
Bechir Selmi (Violine)
Lassad Hosni (Percussion)

 

 

 


Conte de l’incroyable amour (1992, ECM 1457)
Anouar Brahem (Oud)
Barbaros Erköse (Klarinette)
Kudsi Erguner (Nay=Flöte)
Lassad Hosni (Percussion)

 

 


Madar (1994, ECM 1515)
Anouar Brahem (Oud)
Jan Garbarek (Saxophone)
U. Shaukat Hussain (Tabla)

 

 

Khomsa (1995, ECM 1561)
Anouar Brahem (Oud)
Richard Galliano (Akkordeon)
François Couturier (Piano)
Jean Mac Larché (Sopransaxophon)
Bechir Selmi (Violine)
Palle Danielsson (Kontrabass)
Jon Christensen (Schlagzeug)

 

Thimar (1998, ECM 1641)
Anouar Brahem (Oud)
John Surman (Saxophone)
Dave Holland (Kontrabass)

 

 

 


Astrakan Café (2000, ECM 1718)
Anouar Brahem (Oud)
Barbaros Erköse (Klarinette)
Lassad Hosni (Percussion)

Hörproben

 


Le pas du chat noir (2001, ECM 1792)
Anouar Brahem (Oud)
François Couturier (Piano)
Jean-Louis Matinier (Akkordeon)

Hörproben

 


Le voyage de Sahar (2006, ECM 1915)
Anouar Brahem (Oud)
François Couturier (Piano)
Jean-Louis Matinier (Akkordeon)

 

 


The Astounding Eyes Of Rita (2009, ECM 2075)
Anouar Brahem (Oud)
Klaus Gesing (Bassklarinette)
Björn Meyer (Bass)
Khaled Yassine (Percussion)
Hörproben

 

Souvenance (2014, ECM 2423/24)
Anouar Brahem (Oud)
François Couturier (Piano)
Klaus Gesing (Bassklarinette)
Björn Meyer (Bass)
Orchestra de la Svizzera Italiana
Hörproben

 

Blue Maqams (2017, ECM 2580)
Anouar Brahem (Oud)
Django Bates (Piano)
Dave Holland (Kontrabass)
Jack DeJohnette (Schlagzeug)

 

 

 

Links
Anouar Brahems offizielle Website: www.anouarbrahem.com
Anouar Brahem auf Facebook: https://www.facebook.com/anouar.brahem

 

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