Die Ladengemeinschaft

Die Ladengemeinschaft Stern von Afrika und SHIROKKO

Nachdem die Eröffnungsfeier vorbei ist und deren Reste beseitigt sind, kann also der Geschäftsbetrieb beginnen. Im vorderen Verkaufsraum haben die Leute von Günter Albert und  O&P eine Boutique eingerichtet, die sie „Stern von Afrika“ nennen. Weshalb sie diesen Namen gewählt haben, der der Spitzname eines deutschen Jagdfliegers im Zweiten Weltkrieg war, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben. Noch dazu dann der Tag der Eröffnung, ein historisch negativ belastetes Datum! Ich will den Leuten nichts Böses unterstellen, vielleicht wollten sie damit ja die dunkle Vergangenheit verhöhnen? Wie dem auch sei – wir öffneten jedenfalls die Ladentür (und „Stern von Afrika“ sollte ja ohnehin keine lange Geschichte haben, was wir damals aber noch nicht ahnen konnten).

 

Stern von Afrika

Links Irmgard,
in der Mitte Peter Leopold von den Düüls – und rechts sitzt
Adelheid Schuster-Opfermann
vor „Objects“

 

 

 

 

 

 


Das sind also die Objekte, die in der Abendzeitung als „griffig“ bezeichnet wurden. Es sind Nachbildungen männlicher Geschlechtsteile, in verschiedenen Größen und Farben, mit einem Vorhangring leicht als Wandbehang oder Schlüsselanhänger zu gebrauchen.

 

Meine Tante, gelernte Schneiderin, hat sich dann das „Schnittmuster“ besorgt und diese Objekte in großer Zahl genäht und mit Reis gefüllt.
Es gab sie in vielen Varianten, aus Leinen, aus Pannesamt, gemustert oder einfarbig…

 

Neben diesen Objekten strahlte ein weiteres die Kunden förmlich an – ein beleuchteter Busen!
Es waren die Brüste von Rosemarie „Rosy Rosy“ Heinikel, einer Nürnbergerin, die in Schwabing schon recht bekannt war. Man hatte einen Gipsabdruck gemacht und den Busen in Kunststoff geformt und von hinten beleuchtet als Wandlampe verkauft.


Kerngeschäft von Günter Alberts Firma O&P (Objects & Posters) sind jedoch die Posters, mit denen er dem Schwabinger Posterhändler Wolfgang Roucka wohl Konkurrenz machen wollte. Es gibt Posters aller Art, von Art Nouveau bis Andy Warhol, von Sportfotos bis hin zu Blacklight-Posters, die mit UV-Licht angestrahlt, leuchten. Dazu natürlich die damaligen Bestseller wie Che Guevara oder Zappa auf dem Klo.

Ein weiteres Highlight ist ein langformatiges Bild des Models Mascha Rabben, das man mittels bodypainting mit bayrischen Rauten verziert hatte.
So haben die O&P-Leute ein buntes Programm zusammengestellt, das sie mit allerlei Schnickschnack und bald auch agitatorischer Literatur garnierten. Verkauft werden die Sachen von den beiden Chefinnen Adelheid Schuster-Opfermann und Gaby Fersch. Diese ist recht sanftmütig, Adelheid eher forsch. Sie sitzt, links vom Eingang in der Ecke, an ihrem Tisch und mustert jeden Besucher, um ihn gleich darauf zu fragen: bist du politisch?
Politisch sein hieß damals links sein, etwas anderes kam bei Adelheid gar nicht in Frage.
Als ich sie das erste Mal sah, sagte ich „ich bin der Sohn von Irmgard“ und sie sagte „aha. Bist du politisch?“.

Adelheid ist eine Kämpferin, engagiert sich unter anderem in der Frauenkommune, doch leider kommt sie aus ihrem dogmatischen Sprachgebrauch nie heraus, zumindest nicht hier im Laden.
Uschi Obermaier mag sie auch nicht besonders, denn die ist ja „nicht politisch“. In der Tat sagt  Uschi in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom August 2012 „Ich wusste nichts, ich kannte nicht mal den Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus“. Und weiter antwortet Sie auf die Frage: „Die Kreise, in denen Sie sich bewegt haben, waren sehr politisch. Aber hatten die auch Humor? mit „Nee, absolut nicht“. 

Ihre Posters verkauft man natürlich dennoch gerne, denn die sind absolute Renner:
  

 

Zusammen mit Adelheid und Gaby hat also nun Irmgard ihr neues Betätigungsfeld, sie ist zunächst im hinteren Raum untergebracht. Ob sie sich auf die Zusammenarbeit wirklich gefreut hat, kann ich nicht beurteilen. Ziemlich sicher ist es ihr aber unangenehm, daß der Laden als „Frauenladen“ bezeichnet wird, wie das die Abendzeitung spöttisch formulierte. Die AZ benutzte dieses Klischeebild auch für einen Artikel, der ein paar Wochen später erscheinen sollte:

Fpto: Copyright Franz HugDas ist das Originalfoto
Untertitel des Fotos:
Stereophones-Quartett: Die Besitzerinnen einer Schwabinger Boutique (von links Irmgard, Sylvia, Gaby und Adelheid) probieren gemeinsam eine neue Anlage aus.

Das Bild ist in Irmgards Plattenabteilung aufgenommen, aber anscheinend hatte man bei der Abendzeitung mittlerweile vergessen, daß die Ledererstraße nicht in Schwabing ist…

und weiter heißt es:
Die Stereophones bieten musikalische Dauertrips mit Gehirnmassage

Die eigentlich wichtige Nachricht, die Erfindung eines Stereo-Kopfhörers (ein Koss ESP 9 für 698 Mark – man kann es heute kaum noch glauben) wurde also garniert mit spekulativer Aufmachung. Schreiber des Artikels war ein gewisser Raoul Hoffmann.

 

Auf diese Weise hat sich natürlich das Klischeebild eines Frauenladens weiter festgesetzt. Das war so ziemlich das Schlimmste, was dem konservativen männlichen Weltbild passieren konnte. „Emanzen“ und „Flintenweiber“ waren noch die nettesten Attribute, die man hören konnte. Es gab auch Zuschriften, die den Frauen alles Mögliche in drastischen Worten an den Hals wünschten und dabei auch mit Naziparolen nicht sparten. Ich habe diese Dokumente noch, will sie Euch aber lieber ersparen.

Denn, nachdem ich Euch, liebe Leser, lange mit der Vorgeschichte des SHIROKKO beschäftigt habe, geht es jetzt endlich los:

Willkommen im SHIROKKO

Im Gegensatz zum düsteren Schwarz des vorderen Raumes haben wir Irmgards Raum in olivgrün gestrichen, die Möbel dagegen in Rot. Geld für Vorhänge haben wir keines, also wird es silberne Rettungsfolie.


Die Plattenregale haben wir ebenso selbst gebaut wie die Konsole mit drei eingebauten Dual-Platten-spielern und der Anlage mit einem Verstärker, einem Plattenspieler und mit den legendären Elac-Boxen, die mir bis 2015 einen treuen Dienst erwiesen hatten und die so manchen High-End-Freak zum Erstaunen brachten.

Die Investition hat sich gelohnt….

 

 

 

 

Peter Leopold (Düüls), Irmgard und ich bei der Beratung (?)

 

 

 

 

 

 

 

 

Die beiden Herren, die mich in die Mitte nehmen, sind John Weinzierl und Chris Karrer von Amon Düül II.

Wer die anderen Besucher sind, weiß ich nicht mehr…

 

 

 

 

Im Sitzsack, damals das Non-Plus- Ultra!, sitzt ein Kunde und liest den Melody Maker.
Meist saß dort aber Peter Leopold und fragte jeden „stehst Du auf Grateful Dead?“.

An der Wand Fotos, selbstgemacht oder von Freunden – man sieht Frank Zappa, Jimi Hendrix, John Mayall, Ten Years After…

Auf dem Boden Matratzen, mit rotem Rupfen überzogen

 

 

 

So hat man also damals im SHIROKKO Musik gehört, dazu geraucht, Tee getrunken…

Spiralkabel gab es scheinbar noch nicht, wohl aber weiße Socken…

 

 

 

 

 

So starten wir also in die SHIROKKO-Ära. Im Gegensatz zu den Leuten von „Stern von Afrika“ sind wir kein „Kollektiv“, sondern eine Familie. Irmgards zweiter Ehemann, Horst, ist handwerklich äußerst begabt. Irmgards Schwester, also meine Tante, ist gelernte Buchhalterin und sorgt dafür, daß mit Zahlen professionell umgegangen wird. Meine andere Tante schneidert nicht nur „Objekte“ sondern später auch alle mögliche Kleidung. Ihr Ehemann, also mein Onkel, bedruckt Papiertüten sehr aufwendig im Siebdruck. Ich selbst bin zunächst noch eher sporadisch im SHIROKKO, was sich bald ändern sollte. Meine Freundin und spätere Ehefrau Silvia steht stets hilfreich zur Seite – und so beginnen wir die Reise mit unserem Segelschiff namens SHIROKKO – nicht ahnend, wie lange sie dauern wird…
Bitte weiterlesen auf 1970 – Jahr des Aufbruchs

Gerhard Rühl, 20. Januar 2017

Wenn Ihr wissen wollt, wie die Ledererstraße damals ausgesehen hat, bitte sehr:
Die Ledererstraße

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