Anfang 1971 befinden wir uns in unsicherer Zeit, in einem Schwebezustand – aber es ist uns klar, daß wir ziemlich kämpfen müssen. Weil wir nun einen großen Laden haben, 75 statt 25 qm Ladenfläche, brauchen wir natürlich viel Ware und viel Personal. Ich bitte deshalb Klaus-Dieter Schreiber, meinen ehemaligen RIM-Kollegen, für uns zu arbeiten. Der überlegt nicht lange und kündigt ebenfalls bei RIM. Das ist den RIM-Leuten gar nicht recht, denn sie hatten im neu entstehenden Einkaufszentrum „Barbarella“ (in der ehemaligen Filmburg in der Feilitzschstraße) einen Plattenladen angemietet, den wir beide hätten leiten sollen. (Da haben wir nochmal Glück gehabt, denn das Barbarella war eine Totgeburt).
Wir machen uns also an die Arbeit, den vorderen Raum umzugestalten.
Ich fliege nach London, um unsere Lieferanten bei Laune zu halten und neue Ware einzukaufen, beispielsweise bei Mr. Freedom in der Kings Road. (Über meine Londonreisen werde ich noch gesondert berichten).
Ich komme voller Eindrücke zurück, besonders begeistert hat mich die bunte Lebendigkeit, welch ein Kontrast zum tristen Grau Münchens.
Wir trennen uns von einschlägiger Literatur, einer der Hinterlassenschaften von Adelheid, darunter Titel wie „Wissenschaft im Lichte des Marxismus“, „Sexualität im Kulturkampf“, Wilhelm Reichs „Der triebhafte Charakter“, dazu revolutionäre Schriften von Mao Tse Tung, Fidel Castro, Che Guevara…Alles zum Ausverkaufspreis!
Ich kaufe kübelweise Farbe und streiche die vormals schwarzen Wände abwechselnd in Gelb und Rot. Eigentlich grauenhaft, aber wir fanden es damals schön. Auch die Einrichtung wird entsprechend umlackiert.
Wir verkaufen nämlich nun außer Schallplatten auch Räucherstäbchen und diverse Raucher-Utensilien wie Zigarettenpapier, Pfeifchen und Specksteinchillums – und Kleidung!
Den Joint in der Schellingstraße haben wir nun auch an der Backe, aber holen von dort Ware, wir haben auch befreundete Näherinnen, die für uns arbeiten. In der Münzstraße 7 hat die Gretel einen Second-Hand-Laden, aus dem sie uns beliefert – und mittlerweile ist auch die Ware aus London eingetroffen. Ein wilder Mix aus nostalgischen Klamotten und poppiger Ware. Zipfelröcke aus alten Stoffen, T-Shirt-Kleider mit Donald Duck, dazu die topaktuellen Hot Pants. Zur damaligen Zeit gab es ja kaum Läden, die flippige Kleidung verkauften, es gab in der Nordendstraße „Lord John and Lady Jane“, es gab einen Modedesigner in der Leopoldstraße, aber das war’s dann auch schon fast…
Da wird selbst die „deutsche automobil revue“ aufmerksam und veröffentlicht eine Bilderstrecke
Wie solche Mode in der damaligen Zeit wirken mußte, macht ein Inserat deutlich, das in der gleichen Zeitung erschien:
Wir sind nun endgültig von vom Postershop zur Boutique angewachsen, nennen uns Popzentrum und lassen entsprechende Aufkleber anfertigen.
Spezielle Tüten brauchen wir nun auch – eine hab‘ ich noch:
Und wir verschicken erstmals auch Hauszeitungen, genannt INFO. Die erste Ausgabe wird noch mit einer Schreibmaschine in Kursivschrift verfaßt.
Die zweite Ausgabe ist schon deutlich umfangreicher. Weil es noch keinen Computer gibt, der Blocksatz machen würde, muß ich die Texte erst auf der Maschine schreiben, dann die Abstände zählen und beim zweiten Mal die Abstände entsprechend ändern, damit die Zeilen richtig enden.
Weil wir auch kein Kopiergerät haben und Fotodruck viel zu teuer wäre, muß ich alle Artikel abzeichnen. Welch ein Aufwand!
So hat sich das SHIROKKO ganz allmählich zu einem formidablen Laden entwickelt, ein schöner aber auch anstrengender full-time-job.
Sicher wollt Ihr wissen, wie der Laden damals ausgesehen hat? So!
Aber habt keine Angst. Es bleibt immer auch ein Plattenladen.
Gehen wir also zum Musikjahr 1971…
Gerhard Rühl, 30. Januar 2017