Leonard Cohen

Am 7. November 2017 jährt sich Leonard Cohens Todestag zum ersten Mal. Ich nehme dies zum Anlaß für einen ganz persönlichen Nachruf, garniert mit einigen Videos.

Als ich Leonard Cohen im September 2012 in der Arena von Verona sah, spürte ich, wie sehr er in den letzten Jahren körperlich abgebaut hatte, dennoch aber ein fabelhaftes Konzert absolvierte. Ich dachte mir: das wäre eigentlich ein optimaler Moment, aufzuhören.
Hey, that’s a way to say goodbye.

Hier zum Vergleich zweimal der gleiche Song, Hey That’s No Way To Say Goodbye, aufgenommen 2012 in Verona und 2009 in Barcelona:

 

 

 

 

Aber Cohen dachte mitnichten ans Aufhören, er machte weiter, noch ein ganzes Jahr dauerte seine Tournee. Er war offensichtlich „getrieben“  von der eigenen Begeisterung, er war voller Adrenalin, und er war getragen von der Welle der Sympathie, die ihm weltweit entgegenschlug.

Rückblick, vier Jahre zuvor, München im Oktober 2008. Im Vorfeld war zu hören, Cohen müsse aus finanziellen Gründen wieder auf Tournee gehen, weil er um sein Vermögen betrogen wurde. So lag die Vermutung nahe, daß er ein Routinekonzert geben würde. Weit gefehlt! Sichtlich bewegt von der Wirkung, die seine Songs noch immer ausüben, wurde dieses Konzert (wie alle folgenden) eine Demonstration der Menschlichkeit, der Würde, der Ernsthaftigkeit aber auch der Freude. So wurde selbst die so kühle Olympiahalle in ein Gefühl menschlicher Wärme getaucht.
Ich schwöre: es war nicht das Geld, das Leonard Cohen dazu bewegte, jeden zweiten Abend ein dreistündiges Konzert zu absolvieren. Das mag vielleicht ganz am Anfang, im Mai 2008, noch so gewesen sein. Aber je länger die Tourneen dauerten (es wurden schließlich über 380 Konzerte mit etwa zwei Millionen Zuschauern!), desto stärker war der Wille und die Lust, sein Bestes zu geben. Und das war eine ganze Menge.

Who By Fire, Helsinki 2008, Dauer 6:06
Dieses ohnehin schon spannend arrangierte Lied beeindruckt durch das feine Solo des Gitarristen Javier Mas

 

 

 

Sisters Of Mercy
einer von Cohens vielleicht schönsten Songs,
aufgenommen in Bratislava, Dauer 4:53

 

 

Waiting For The Miracle
ein besonders schöner ’später‘ Cohen-Song, aufgenommen 2009 in Belfast, Dauer 7:54

 

 


und noch ein Klassiker:
das berühmte Chelsea Hotel # 2,
aufgenommen in Florenz 2010, Dauer 4:16

 

 

 

Leonard Cohen kostete jeden Moment genüßlich aus. Im eleganten Nadelstreif gekleidet war er ein echter Gentleman, außer zwei Videoscreens, die ihn meist in Großaufnahme zeigten, brauchte er keine Bühnenshow. Pure Musik, reduziert aufs Wesentliche und doch so vielfältig. Unvergeßlich, wie er immer wieder seinen legendären Hut zog, vor dem Publikum und vor den Musikern, die er oft knieend in Dankbarkeit ehrte und bewunderte. So einen Menschen wünschte man sich als Großvater. Oder, aus weiblicher Sicht, auch als Liebhaber, was am hundertfachen Jauchzen und Seufzen zu hören war, wenn er sang „if you want a doctor, I’ll examine every inch of you“.
In San José schließlich folgten viele weibliche Fans der Textzeile aus dem Song Closing Time ‚and the women tear their blouses off“!

Closing Time
San José 2009, Dauer 6:18. Köstlich!

 

 

Wie sehr Leonard Cohen verehrt wurde, beweist auch die Aufnahme von So Long, Marianne, entstanden 2009 in Lissabon. Cohen steht staunend mit einer Blume in der Hand und lauscht fasziniert dem Gesang des Publikums. Dauer 4:25

 

 

 

Es war eben nicht nur die Wirkung seiner Lieder, seiner unvergeßlichen Songs und seiner Poesie. Es war die schier unfaßbare Menschlichkeit, die Leonard Cohen verströmte. Ein intellektueller, ein melancholischer, ein weiser, aber auch ein humorvoller und ironischer Mensch. Er sagte: „ich habe alle Drogen und Medikamente ausprobiert, aber die Lebensfreude hat immer wieder gesiegt“. So war er stolz auf sein Publikum, seine Musiker, seine Lieder – aber er war niemals selbstgefällig.
Ein Beispiel: drei Tage vor seinem Konzert in Barcelona war er in Valencia auf der Bühne zusammengebrochen. Wohl jeder andere Künstler hätte verkündet: „here I am, back again“. Das hatte Cohen nicht nötig, er spielte auch an diesem Tag, seinem 75. Geburtstag, als sei nichts gewesen. Diese Souveränität machte aus ihm nicht nur einen besonderen Künstler, sondern auch einen besonderen Menschen.

Mehr als eine Million Zuhörer haben diesen besonderen Menschen auf seinen Tourneen von 2008 bis 2013 bewundert. Es waren beileibe nicht nur „Ex-Hippies“ mit nostalgischen Gefühlen – es waren erstaunlich und erfreulich viele junge Leute, die Cohen vielleicht nur von den LPs ihrer Eltern her kannten. Oder, viel wahrscheinlicher, die von der weltweiten Euphorie ergriffen waren, die Cohens Konzerte begleitete. So spürte Leonard Cohen natürlich auch, welche enorme Wirkung er erzielte, und er wußte es zu schätzen,  daß ihm damit im hohen Alter noch ein besonderes Geschenk offenbart wurde. In Dankbarkeit sagte er „thank you for keeping my songs alive“ und er sang „you’ll be hearing from me long after I’m gone“.

Dass Leonard Cohen aber trotz seines hohen Alters noch richtig „Gas geben“ konnte, beweist der Song The Future, Dublin 2009, Dauer 6:39

 

Leonard Cohen wurde, egal in welchem Land und in welcher Stadt, empfangen von Fans, die ihm folgten wie Pilger – seine Konzerte ähnelten ja teilweise Gottesdiensten.
Vorbildlich organisiert wurde die Fangemeinde vom Finnen Jarkko, der mit seiner Website Leonard Cohen Forum dafür sorgte, daß sich die Cohen-Fans weltweit vernetzten – und daß sie bei den Konzerten in den Genuß kamen, die besten Tickets zu ergattern. Dies führte dazu, daß die treuen Fans wie eine Familie stets direkt vor der Bühne saßen, sich auch außerhalb der Konzerte zu gemeinsamen Treffen vereinbarten. Eingebettet in diese community, umklammert vom Symbol der „verbundenen Herzen“, hat sich damit eine ganz eigene, in der heutigen Zeit schon antiquiert wirkende und deshalb umso wichtigere, Stimmung verströmt, die in vielen Zuhörern noch heute eine Gänsehaut erzeugt. Als 2009 die DVD Live In London erschien und wir diese im SHIROKKO auf dem Monitor zeigten, mußten wir stets eine Kleenex-Box bereitstellen, weil es den Kunden die Tränen in die Augen trieb.


Am Ende des Songs Anthem mit der bedeutungsvollen Textzeile: „there is a crack in everything, that’s how the light gets in“, stellt Leonard Cohen in Demut und Dankbarkeit seine Musiker vor…
San José, 2009, Dauer 9:58

 

 

Als ich 2016 hörte, daß Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur bekommt, war mein erster Gedanke: das wird auch Zeit. Aber schon der zweite Gedanke war: Leonard Cohen wäre mir lieber gewesen. Das schwedische Komitee hat damit die Chance vertan, einen großen Poeten zu ehren. Und Cohen hätte bestimmt eine grandiose Rede gehalten, so wie er das 2011 bei der Verleihung des spanischen Literaturpreises getan hat.

Diese 11-minütige Rede ist absolut sehenswert, denn sie zeigt, wie sprachgewandt und selbstironisch Leonard Cohen war…

 

 

Wie man jetzt weiß: Cohen hätte die Preisverleihung nicht erlebt, aber sein Leben und sein Werk hätten einen würdigen Abschluß gefunden. Aber auch ohne Nobelpreis hat es diesen dann doch noch gegeben. Im Laufe des Jahres 2016, hat Cohen im Alter von 82 Jahren sein letztes Album fertiggestellt.
Trotz schwerer Krankheit und starken Schmerzen nahm er, getrieben von Sohn Adam, die CD „You Want It Darker“  auf, sie wurde knapp zwei Wochen vor seinem Tod veröffentlicht und von Kritikern hymnisch gelobt. Denn Cohen, wissend um sein nahendes Ende, hat hier Lieder von tiefer Nachdenklichkeit präsentiert.

Diese Nachdenklichkeit hat auch mich ergriffen, als ich die Nachricht von Leonard Cohens Tod erfuhr. Nachdenklichkeit, Melancholie, aber mehr Traurigkeit als Trauer, die sich alsbald aber in Dankbarkeit verwandelte. Dankbarkeit dafür, daß Cohen, wie Sohn Adam berichtete, nach schwerer Krankheit dennoch in Frieden zuhause verstorben ist.
Dankbarkeit dafür, diesen so einzigartigen Menschen kennengelernt zu haben. Zwar nicht persönlich, aber dennoch in großer emotionaler Nähe. Er hat uns allen mehr gegeben als „nur“ wunderschöne Lieder und unvergeßliche Momente. Er hat in unseren unified hearts, den „verbundenen Herzen“ etwas eingepflanzt, was bleiben wird.
Und allen Freunden und Fans rufe ich zu, in Abwandlung einer Textzeile:
„your eyes may be full of sorrow, but your hearts shall be full of gratitude“.
Verfaßt von Gerhard Rühl am 7. November 2017
anläßlich des ersten Todestages von Leonard Cohen

Weitere Texte über Leonard Cohen finden Sie auf der SHIROKKO-Website


und schließlich noch ein ganz persönlicher Tip:
das selten gespielte Feels So Good, hier in einer Aufnahme aus Katowice 2010.
So knochentrocken und ernst hat man Cohen nicht oft gehört. Absolute Gänsehaut!
Dauer  10:02

 

 

Übrigens: die schönsten Videos stammen von Albert Noonan aus Dublin, der über 300 Cohen-Songs aus verschiedenen Konzerten in HD-Qualität hochgeladen hat. Er hat einen eigenen YouTube-Channel – unbedingt sehenswert! Da können Sie ganz tief in die Faszination von Leonard Cohens Konzerten eintauchen:
https://www.youtube.com/user/albertnoonan

Ganz zum Schluß möchte ich es nicht versäumen, auch den famosen Musikern zu danken, die Cohens Songs völlig neu arrangiert und in einen gefälligen aber niemals banalen Sound gekleidet haben.
Roscoe Beck, Bassist und Arrangeur. Neil Larsen an der legendären Hammond-B3. Bob Metzger an der E-Gitarre. Javier Mas aus Barcelona, der mit seinem Lautenspiel die Fans in Verzückung versetzte. Dino Soldo, diverse Blasinstrumente, Showman der Truppe – er wurde später durch den Violinisten Alex Bublitchki ersetzt. Am Schlagzeug der spanische ‚timekeeper‘ Rafael Bernardo Gayol. Sharon Robinson, Sängerin und Co-Autorin. Schließlich noch die irischen Schwestern Hattie und Charlie Webb, von Cohen liebevoll die ‚sublime Webb Sisters‘ genannt.
Allesamt großartige Künstler, die mit ihrem unprätentiösen Auftreten auch dafür gesorgt haben, daß Leonard Cohens Konzerte mindestens drei Stunden lange Wohlfühlabende wurden. Thank you all, folks!

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