Ibrahim Ferrer

Ibrahim Ferrer wurde am 20. Februar 1927 in einem kleinen Ort in der Nähe von Santiago de Cuba geboren. Schon als Jugendlicher versuchte er sich als Sänger, nahm tagsüber jede verfügbare Arbeit an, um abends auftreten zu können. In den 50er Jahren schloß er sich mehreren berühmten Bands an, doch seine Karriere war nicht von Erfolg gekrönt. Noch nicht.

So verlor Ibrahim bald die Freude am Singen, nicht jedoch sein Talent. Er verdiente sich seinen Unterhalt mit Aushilfsarbeiten. Doch 1996 kam die unerwartete Wende. Ry Cooder, der zu den Aufnahmen des „Buena Vista Social Club“ in Cuba weilte, erzählt: „Am dritten Tag waren wir verzweifelt, denn wir hatten keine Sänger. Juan de Marcos González macht sich auf die Suche und kam mit diesem schrägen Vogel Ibrahim Ferrer zurück. Sofort wußte ich: der hat etwas“.
In der Tat hatte Juan de Marcos, der Arrangeur, Ibrahim praktisch auf der Straße aufgelesen, wo dieser als Schuhputzer arbeitete. Ibrahim war zunächst erstaunt, „wieso denn ich“, aber er ließ sich doch gerne überreden. Später sagte er: „Ein Traum ist wahr geworden. Als ich jünger war, dachte ich, ich könne mit meiner Musik die Welt erobern. Dann passierte 35 Jahre lang nichts mehr, ich hatte eigentlich schon Schluß gemacht mit der Musik. Jetzt erfüllt sich der Traum meiner Jugend im Körper eines alten Mannes“.
Er war immerhin schon siebzig Jahre alt, als seine erstaunliche Karriere begann, die ihm weltweiten Ruhm einbringen sollte.

Ich habe Ibrahim Ferrer sieben Mal live auf der Bühne bewundern dürfen und wurde Zeuge einer unglaublichen Entwicklung, Ibrahim wurde von Mal zu Mal selbstbewußter und souveräner.
Bei seinem ersten Auftritt in der Münchner Muffathalle im April 1998 war er noch im Vorprogramm und als Begleitmusiker angekündigt. Er war noch derart schüchtern, daß er sich fast hinter den Lautsprechern versteckte, immer wieder aus dem Lichtkegel trat und prüfte, ob sein Anzug noch saß, auf den er so stolz war. So stolz wie auf seine obligatorische Mütze.

Ein paar Monate später, wieder in der Muffathalle, trat Ibrahim als Gast der „Afro Cuban All Stars“ auf. Diesmal galt ihm schon der größte Teil des Applauses, worüber er sichtlich erstaunt war.

Schon ein Jahr später war Ibrahim Ferrer ein Star. In einem Doppelkonzert mit Rubén González, übernahm er die Hälfte des Programms und wurde mit Ovationen bedacht – auch wegen seines unvergesslichen Duetts ‚Silencio‘ mit Omara Portuondo. Da flossen einige Tränen im Cirkus Krone Bau.

Am 9. Juli 2000 spielten die Musiker des Buena Vista Social Club auf dem Münchner Königsplatz, ihr sprichwörtlicher Charme zog mehr als 20.000 Zuschauer trotz strömenden Regens in ihren Bann.

Im Salzburger Festspielhaus wurden wir dann im Jahr 2001 Zeugen des letzten öffentlichen Auftritts des sichtlich erschöpften Rubén González. Ibrahim hingegen schien nicht älter sondern jünger geworden zu sein. Mit geballter Faust und mächtigem Selbstbewußtsein legte er eine Power-Performance hin, die das teils „feine“ Publikum unwillkürlich von den Sitzen riß.

Wieder zwei Jahre später, in der Münchner Philharmonie, war Ibrahim sichtlich stolz darauf, daß außer seinen „alten Kumpanen“ wie Cachaito Lopez auch junge Musiker in seiner Band spielten (wie z.B. der sensationelle Pianist Roberto Fonseca oder der brasilianische Gitarrist Swami Jr.), die damit die Brücke schlugen zwischen der kubanischen Tradition und neueren Entwicklungen.

So ist es Ibrahim Ferrer gelungen, von Jahr zu Jahr scheinbar jünger zu werden und mit seiner Kraft und seinem Charme Jung und Alt zu begeistern. Stets mit dabei sein „Zauberstab“, den er zuhause in einer Art Altar aufbewahrte, auf Tournee jedoch als Talisman im Hosenbund versteckte.
Leider konnte auch dieser Zauberstab den Tod nicht verhindern. Im August 2005 war Ibrahim von einer Europatournee zurückgekehrt, wollte im Studio seine dritte Solo-LP fertigstellen. Dazu kam es nicht mehr. Ibrahim Ferrer starb am 6. August 2005 an multiplem Organversagen.

Ohne jeden Zweifel war Ibrahim Ferrer einer der größten kubanischen Sänger aller Zeiten. Mit unvergleichlichem Schmelz sang er die gefühlvollen Lieder, die in Lateinamerika „Boleros“ heißen.
Er hat zwei Grammys gewonnen (durfte jedoch aufgrund der Einreisebestimmungen nicht an der Verleihung teilnehmen), er hat die Welt bereist und scheinbar mühelos den extremen Unterschied zwischen seinem „einfachen“ Leben und der medialen Aufmerksamkeit verkraftet. Dabei ist er stets ein bescheidener und stolzer Mann geblieben. Auf die Frage, was er mit dem Geld anfangen würde, das er jetzt verdiente, antwortete er: „ich kaufe mir noch eine Mütze“. 1999 machte Matthias Knab, ein befreundeter Kunde, mit Ibrahim einen kleinen Spaziergang durch München. Die Frage, was ihn am meisten beeindruckt hatte, beantwortete Ibrahim mit „die Pflastermaler“.
Diese Art von Bescheidenheit, Demut und Gelassenheit machte Ibrahim Ferrer zu einem ganz besonderen Menschen, einem Menschen, den man gerne als Großvater gehabt hätte.

Der 24. Juni 1999,
ein denkwürdiger Tag.

Im Rahmen seines Stadtspaziergangs besucht Ibrahim Ferrer das SHIROKKO. Mit dabei seine Frau Caridad Díaz, die etwas mürrisch dreinblickt. Wie man aus Wim Wenders‘ Buena-Vista-Film weiß, hat sie zuhause das Kommando – auf Reisen ist sie aber „Begleitperson“.

Obwohl wir Ibrahim das erste Mal treffen, ist es, als käme ein Verwandter zu Besuch, der zufällig in der Nähe ist. Er ist derart menschlich und zutraulich, daß es uns fast die Sprache verschlägt. Mein Spanisch ist ungefähr so schlecht wie Ibrahims Englisch – und dennoch verstehen wir uns auf eine ganz besondere Weise. Schließlich schreibt uns Ibrahim mit etwas ungelenker Hand eine Widmung auf ein Foto des Vorjahres-Konzerts.
Ich habe niemals jemand um ein Autogramm gebeten – aber darauf bin ich mächtig stolz.

         

Wir sind dankbar, daß wir diesen außergewöhnlichen Menschen kennenlernen durften.
Adiós, Ibrahim, wir werden Dich nie vergessen!

Verfaßt von Gerhard Rühl am 20. Februar 2017 anläßlich des 90. Geburtstags von Ibrahim Ferrer

 

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