Jerry Garcia

Als Ende 1969 das Doppelalbum Live Dead erschien, waren wir – um es im damaligen Jargon auszudrücken – ‚totally flashed‘. Denn mit dieser Aufnahme hatte die Gruppe Grateful Dead eine Tür aufgestossen, die ihr noch riesigen Ruhm eröffnen sollte.

Herzstück von Live Dead  ist der 23-minütige Titel Dark Star. Dreiundzwanzig Minuten, der Wahnsinn! In einer Zeit, in der Songs meist nicht länger als drei bis vier Minuten dauerten, war dieser Track eine absolute Sensation (in einer Kurzversion ist er, neben Pink Floyd, auch in Michelangelo Antonionis Kultfilm Zabriskie Point zu hören), noch deutlich länger als das legendäre In-A-Gadda-Da-Vida. Und natürlich um Klassen besser…

Es war aber nicht nur die Länge, die Dark Star so attraktiv machte, es war vor allem das Gitarrenspiel von Jerry Garcia, der die Bass-Einleitung mit ausgesprochen zärtlichen und wunderschönen Melodien garnierte und zu einer traumhaften Sequenz ausdehnte.
Wer das Stück nicht kennt, dem sei hiermit ausdrücklich empfohlen, sich dieses Video anzusehen. Dauert 17 Minuten, ist aber jede Sekunde wert.

Jerry Garcia hatte ein Handicap: als er vier Jahre alt war, verlor er den Mittelfinger der rechten Hand. Er mußte sich also eine ganz eigene Spieltechnik erarbeiten. Das damals so populäre Fingerpicking war ausgeschlossen, was Garcia aber nicht daran hinderte, auch Country und Bluegrass zu spielen. Zu Höchstform lief er aber in seinen schier endlos wirkenden Soli und Improvisationen auf, die man sonst eher von Jazzmusikern kannte. Mit einem ganz eigenen, hellen und fröhlichen Ton setzte er vielen Liedern Glanzpunkte auf, und er sorgte auch dafür, daß Konzerte von Grateful Dead regelmäßig mehrere Stunden dauerten.

Garcia war kein „Trickgitarrist“, er verwendete kaum elektronische Effektgeräte, und er war auch kein Showman. Er beeindruckte durch seine Souveränität und stoische Ruhe,mit der er seine fein ausbalancierten musikalischen Akzente in eine sehr dichte rhythmische Basis setzte. Auf diese Weise wurde er unverwechselbar, ein wahrer Superstar.

Garcias meist bedächtiges Spiel (laid back würde man heute wohl dazu sagen) brachte ihm aber nicht nur Freunde ein. Eine Band, deren Namen ich hier diskret verschweigen möchte, veröffentlichte sogar den Song „Bring Me The Head Of Jerry Garcia“, in dem es unter anderem hieß, Garcia sei „so empfindsam wie ein Türknauf“. Heutzutage würde solches wohl einen shitstorm auslösen. Fans von Grateful Dead und von Jerry Garcia nehmen diese Angriffe jedoch gelassen hin, denn sie wissen sich ja in der Mehrheit.

Schließlich erschien nach Garcias plötzlichem Tod ein 80-seitiges Sonderheft mit vielen Fotos, Hintergrundinformationen und ehrenden Artikeln.

So schrieb beispielsweise ein gewisser Bob Dylan:
„Man kann seine Größe als Mensch und als Musiker nicht hoch genug einschätzen. Er war wirklich einzigartig. Sein Spiel war sanft, wunderschön,  hypnotisch und feinsinnig. Ein unbeschreiblicher Verlust“.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Doch: würde Jerry Garcia noch leben, er würde uns wohl noch heute mit seinem sanften Spiel viele entspannte Abende bescheren. Daraus wird leider nichts, denn Garcia starb am 9. August 1995, eine Woche nach seinem 53. Geburtstag, an einem Herzinfarkt. So bleiben uns nur die vielen Ton- und Bildkonserven als Erinnerung an einen großartigen Musiker. Und uns bleibt der Dank für wundervolle Musik.

Verfaßt von Gerhard Rühl am 1. August 2017 anläßlich des 75. Geburtstages von Jerry Garcia
Und hier folgt „meine“ Geschichte mit Grateful Dead


Sehen Sie hier ein Live-Video von Dark Star, aufgenommen 1981. Dauert siebzehn Minuten und ist jede Sekunde wert:
https://www.youtube.com/watch?v=8IobIKrZm6c

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