Wer nach dem Krieg in Bayern aufgewachsen ist, hatte Glück, denn das war die amerikanische Besatzungszone. Die Amerikaner brachten uns nicht nur Wrigleys, Hershey und Betterfinger, Hot Dogs, Erdnußbutter und Grapefruit-Saft in Dosen. Sie brachten auch Lockerheit und Lebensfreude. Und sie brachten Musik.
Die Soldaten, genannt G.I.s (G.I.=Government Issue=Gesandter der Regierung) versammelten sich in Musikkneipen wie dem Tabarin, dem Domicile oder in Bars in der Bahnhofsgegend, um Jazz zu hören. Wir selbst hörten Jazz auf AFN, jeden Nachmittag in ‚Bouncing In Bavaria‘, so lernten wir Benny Goodman und Louis Armstrong, aber auch Paul Anka und Elvis Presley kennen.
Über die Musik schafften wir es auch viel leichter, die Sprache zu erlernen und so waren wir, wie Ernst Wendt, Chefdramaturg an den Kammerspielen es nannte, „amerikanisch erzogen“.
Mitte der 50er Jahre hatten wir einen G.I. zu uns in die Familie eingeladen, das machte man meist zu Weihnachten. Aber John, so hieß „unser“ Amerikaner, blieb gern noch eine Weile länger.
Es verbot sich von selbst, Amerika und die Amerikaner zu kritisieren, nicht nur weil sie mit Care-Paketen und Marshall-Plan Deutschland den Wiederaufbau ermöglichten. Aber unser Amerika-Bild bekam in den 60er Jahren deutliche Risse. Ernst Wendt schildert in seinem Artikel, daß aus seiner Begeisterung für die amerikanische Erziehung allmählich die Erkenntnis erwuchs, daß die amerikanische „Kultur“ eigentlich eine Kolonialisierung war, das Vorgaukeln des unbesiegbaren Saubermanns. Waren wir nicht tatsächlich hereingefallen auf den ‚American way of life‘ mit seinen Western-Filmen, mit Kinderserien wie ‚Lassie‘ und ‚Fury‘, mit dem Heile-Welt-Magazin ‚Readers Digest‘?
Rassentrennung, Waffenlobby und Militarismus zeigten jedoch die andere, die dunkle Seite der Siegermacht. Die Ermordung Martin Luther Kings und der Vietnam-Krieg ließen einen Anti-Amerikanismus entstehen, einen Anti-Amerikanismus, der vielleicht einseitig und nicht korrekt gewesen sein mag, aber eben auch nicht ganz verkehrt. Wenn wir den Film ‚Easy Rider‘ im Kino gesehen hatten, wuchs jedenfalls unsere Wut über die reaktionären Kräfte. Aus ehemaligen Freunden schienen Gegner zu werden.
Wir versuchten daher, unser eigenes Amerika-Bild zu erstellen. Unser Amerika war nicht das der ‚Rednecks‘, nicht das des Sängers Merle Haggard, der in seinem Anti-Hippie-Song ‚Okie From Muskogee‘ sang:
We don’t smoke marijuana in Muskogee
We don’t take our trips on LSD…
We don’t let our hair grow long and shaggy
Like the hippies out in San Francisco do
Unser Amerika war das der Youngbloods aus San Francisco, die Haggard im Song ‘Hippie From Olema’ anworteten:
We don’t throw our beer cans on the highway
We don’t slide a man because he’s black…
We still take in strangers if they’re Haggard
In Olema, California, Planet Earth
Welch schönes Wortspiel: Haggard statt ragged!
Unser Amerika war das von Bob Dylan und Lou Reed, das von Frank Zappa und Jefferson Airplane.
So bastelten wir unser eigenes Amerika-Bild zusammen. In einer Schaufensterdekoration für Grateful Dead hängten wir 1975 sogar eine amerikanische Flagge auf. Das wäre heute undenkbar.
Als 2008, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, Leonard Cohen in München sang „democracy is coming to the USA“ und dann Barack Obama Präsident wurde, hatte man immerhin wieder Hoffnung, daß Amerika ein vernünftig regiertes und geeintes Land werden würde. Doch auch die ist jetzt, acht Jahre später, verflogen.
Gäbe es das SHIROKKO heute noch, würde ich jedenfalls keine Flagge mehr ins Fenster hängen.
Denn, wohlgemerkt, ich schreibe diesen Text am Tag der Amtseinführung von Donald Trump.
Gerhard Rühl, 20. Januar 2017
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