Seit wir das SHIROKKO geschlossen haben, betreibe ich ein neues Hobby: ich fotografiere leere Läden. Wo mich früher attraktive Auslagen anzogen, glotzen mich nun folienverhängte Fenster stumpfsinnig an. Mein Hobby ist zukunftssicher – wo immer ich hinkomme: wieder ein Laden leer.
Nun hat es auch das slips. erwischt. Nach 27 Jahren hat Klaudia Burger ihren Laden am Münchner Gärtnerplatz für immer dicht gemacht. Sie „muß“ nicht, sie „will“, sie „erträgt es nicht mehr“, sie beklagt „mangelnde Wertschätzung“ – so stand es in ihrem Statement in der Süddeutschen Zeitung vom 8. Juni.
Ich nehme das zum Anlaß für ein paar kritische Worte, angereichert mit persönlichen Erlebnissen.
Soziale (?) Medien
Schon nach kurzer Zeit waren auf facebook Dutzende Einträge zu finden, mit einer bemerkenswerten Tatsache: Auf der slips-eigenen Facebook-Seite sind die Kommentare (wohl von Kunden und Bekannten) geprägt von Empathie, Zustimmung und Verständnis.
Hingegen schlagen einem auf der SZ-Seite in fast allen Beiträgen hämische, höhnische, herablassende und verletzende Bemerkungen entgegen. Woran mag das wohl liegen? Steigt mit der Unkenntnis die Unverschämtheit?
Sicher, gegen diese Art der Geringschätzung kann man sich wehren, indem man solche Einträge ganz einfach nicht liest (Frau Burger, befolgen Sie meinen Rat!). Aber wenn einem das persönlich im Laden widerfährt, geht es einem doch an die Nieren. Bis zur Erkenntnis „ich ertrage es nicht mehr“ ist es zwar noch ein weiter Weg, aber es ist ein Weg…
Liebe, Lust und Leidenschaft
Man muß ein Geschäft nicht gut, schön oder wichtig finden. Man muß ein Sortiment nicht attraktiv, einen Besitzer nicht sympathisch finden. Man muß einen Laden nicht betreten. Aber man muß ihn akzeptieren! Jemand, der 27 Jahre lang sein Geschäft ordentlich führt, verdient jedenfalls allerhöchsten Respekt.
Ich könnte hier seitenweise Beispiele bringen, die einem Ladenbesitzer das Leben schwer machen. Ob Sie es glauben oder nicht (Neueinsteiger unterschätzen es oft) – es sind die vielen kleinen Dinge, die dich von der eigentlichen Arbeit abhalten. Es sind die Dinge, die du nicht ändern kannst, auf die du aber reagieren mußt. Die dich Zeit, Nerven und Geld kosten.
Warum tun sich Ladenbesitzer so etwas an? Weil sie beseelt sind von ihrer Idee, weil sie leidenschaftlich und zuversichtlich, hartnäckig und verantwortungsbewußt sind. Weil Herzblut fließt.
Sie gehen auf Messen, sie freuen sich königlich, wenn sie ein neues Teil eingekauft haben, sie legen es stolz ins Schaufenster, das sie liebevoll pflegen und in Ordnung halten. Sie verbringen die meiste Zeit ihres Lebens im Laden. Es ist ihr zweites Zuhause, ihr zweites Wohnzimmer. Sie verzichten damit aber auch auf vieles, was anderen selbstverständlich ist. All das muß der Kunde nicht unbedingt wissen, er will schließlich bedient werden, nicht belehrt. Aber er kann es zur Kenntnis nehmen.
Vom König zum Diktator
Früher sagte man „der Kunde ist König“. Betrachtet man die Servicewüsten, die sich mittlerweile in vielen Firmen, vor allem Großmärkten, herausgebildet haben, stimmt das schon lange nicht mehr. Aber: inzwischen ist aber aus der Monarchie eine Diktatur geworden – nun ist es der Kunde, der die Bedingungen stellt. Früher hat er gefragt „haben Sie etwas Schönes für mich?“ oder „darf ich mich mal umsehen?“. Heute zeigt er dir, gut (?) informiert durch Preisvergleichs- und Bewertungsportale auf seinem Display, was deine Ware anderswo kostet. Auch wenn es sich da um Dumping- oder Kampfpreise handelt, du hast als Händler keine Chance. Frau Burger von slips. sagt „die zwei Farben, die du im Laden hast, genügen plötzlich nicht mehr, online gibt es ja fünf“.
Vielleicht sagt dir der Smartphone-Besitzer ins Gesicht, daß du die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hast, mit deiner Preisgestaltung völlig daneben liegst. Eine Weile denkt man, das hält man aus. Für jeden meckernden Kunden kommt ja auch wieder ein netter.
Das größte Kapital, das man hat, sind ja sowieso die treuen Stammkunden. Was aber tun, wenn diese weniger häufig kommen? Man zählt auf Laufkundschaft. Was tun, wenn diese ausbleibt, dich ignoriert, oder, noch schlimmer, ständig die Ware und die Schaufenster fotografiert um dann wortlos von dannen zu ziehen?
Ich will hier keineswegs Verbraucherschelte üben. Jeder für sich hat ja einen Grund, etwas zu tun oder nicht zu tun. Nur: in der Masse gesehen ist das Käuferverhalten eine Katastrophe.
Von der Lust zum Frust
Einen Ladenbesitzer müssen Sie, liebe Leser, weder beneiden noch bedauern – er tut es ja aus Absicht. Aber ein wenig Gedanken über seine Psyche können nicht schaden.
Jahrelang steckt er die Probleme weg. Er redet sich ein, es auszuhalten. Er schöpft neuen Mut. Jeder Tag ist ein neuer Tag. Die Zeiten werden sich schon wieder ändern.
Doch so ganz allmählich schleicht sich der Gedanke ein: weshalb tue ich mir das eigentlich an? Und schon ist es da, das gefährliche Gift. Es beginnt eine lange Zeit des Überlegens. Schlaflose Nächte, der Wechsel von Zuversicht und Mutlosigkeit. Endlose Überlegungen und Gespräche, mit Freunden und Partnern, mit Angestellten und Kunden.
Da holt man sich dann jede Menge gutgemeinter Ratschläge. Du mußt mit der Zeit gehen. Dich anders aufstellen. Alleinstellungsmerkmale schaffen. Alle Kanäle nutzen. Offensiv auftreten. Online anbieten.
Ach ja – genügt es nicht mehr, ordentlich und verantwortungsvoll zu arbeiten?
Muß ich wichtigtuerisch und marktschreierisch werden, nur weil es mir Marketingstrategen und Eventmanager einreden? Muß ich meine Preise dem ruinösen Kampf anpassen, nur weil ein BWLer sagt „die Masse bringt’s“?
So absurd es klingen mag, die übervolle Innenstadt, die tagtäglich zunehmend von Massen- und Billigtourismus überschwemmt und mit zahllosen Events bespaßt wird, sorgt dafür, daß die Zahl der Käufer in vielen Läden stark abgenommen hat. Warum? Weil auch wohlgesonnene Kunden die Innenstadt meiden, wo es geht. Klaudia Burger sagt, daß sie „ihr Orderverhalten der sinkenden Frequenz angepaßt“ hat. Sinkende Frequenz, am Gärtnerplatz, einem Münchner hotspot! Das kann aber nicht die Lösung sein – immer weniger Ware für immer weniger Kunden bereit zu halten.
Und irgendwann, wenn du wieder mal die Ware von links nach rechts räumst, während Passanten spöttisch dein Angebot kommentieren aber die Ware im Schaufenster fotografieren, kommt der Moment, in dem du sagst: es reicht. Ich ertrage es nicht mehr.
Das mag jetzt wehleidig klingen, ist es aber nicht. Es ist nur eine Zustandsbeschreibung, die, das behaupte ich, ganz sicher auf viele Ladenbesitzer zutrifft. Auch deshalb kann ich Frau Burgers Entscheidung voll verstehen – mehr noch: ich beglückwünsche sie sogar.
Lethargie
Als wir unsere Schließung bekanntgaben, war die Reaktion bei den Kunden einhellig „oh, schade!“. Bei Geschäftsleuten und Kollegen hingegen war es durchweg Verständnis. Viele, aus durchaus verschiedenen Branchen und Ladengrößen, sagten sogar: „am liebsten würde ich auch aufhören, ich habe keine Lust mehr“!
Da ist ganz offenbar eine fatale Entwicklung im Gange, Lethargie legt sich lähmend wie Mehltau auf das Gemüt von Ladenbesitzern.
Man kann nur hoffen, daß diese Stimmung möglichst schnell wieder ins Positive kippt und die unselige Entwicklung gestoppt wird. Was ist, wenn auch die willigsten Inhaber demotiviert werden? Was wäre die Stadt ohne die kleinen Läden, ohne die engagierten BesitzerInnen, die mit fantasievollen Konzepten und Schaufensterdekorationen für Vielfalt und Kreativität sorgen? Schätzen wir nicht gerade die Geschäfte, bei denen man spürt, daß die Besitzer ihre eigene Arbeit und ihre Ware lieben? Die niemals ein Rabattaktions-Leuchtschild ins Fenster hängen würden?
Ausblick
Wer wird denn in den ehemaligen slips.-Laden einziehen? Ein Bio-Bäcker? Ein Möbelschreiner? Schuh Bertl? Wohl kaum.
Viel eher vielleicht ein crowdfunding-finanzierter Pop-Up-Store? Oder ein Filialist?
Dem online-Käufer wird es egal sein, solche Läden interessieren ihn ja ohnehin nur, wenn sie bereit sind, Pakete für die Nachbarschaft entgegen zu nehmen.
Für diejenigen jedoch, die die Atmosphäre in der Stadt lieben (und die gerade deshalb gerne hierher fahren), ist jede Ladenschließung ein unverwechselbares Unikat, ein Besuchsgrund weniger. Da bricht ein weiterer Stein aus dem Mosaik der Vielfalt. Die Stadt wird eintöniger, austauschbarer und unattraktiver, mehr von Läufern als von Käufern geschätzt.
Ich glaube, ich brauche eine größere Speicherkarte für meinen Fotoapparat.
Gerhard Rühl, 12. Juni 2017
never ending story…
Trauriger Nachtrag vom 17. August 2017:
Heute habe ich mit Schrecken festgestellt, daß das Roeckl-Eck (Ecke Perusa-/Theatinerstraße) geschlossen ist. Wieder ein traditionelles und wunderschönes Geschäft weniger – ein wirklich großer Verlust!
Mittlerweile ist der Laden wieder „in Betrieb“ – aber die wunderschöne Einrichtung mit den vielen Schubladen ist dahin…
Nachtrag vom Februar 2019:
Es sind nicht nur die kleinen Geschäfte, die von Schließung bedroht sind, wie zum Beispiel das schöne Kindermodengeschäft „Les Petits“.
Nein, auch riesige leere Schaufensterfronten sind zu sehen, wie hier in der Theatinerstraße.
Und nochmal zum Thema „Frust der Besitzer“. Der Outdoor-Ausrüster Lauche & Maas hat auch aufgegeben. In der Süddeutschen Zeitung schreibt der Besitzer, Wolfgang Maas, „ihn habe das Ende nicht besonders mitgenommen, er habe damit abgeschlossen“.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr Firmeninhaber sich mit der Realität abfinden müssen, um nicht weiteren psychischen Schaden davonzutragen.
Kompliment – Sie sprechen mir aus der Seele…..bin mit Burnout ausgeschieden – ihre Einschätzung trifft den Kern, diese schicke ich sogleich meinem Therapeuten – was mir zukünftig viel Geld spart ….denn Sie haben mich gerade therapiert……auch ich habe übrigens der Dame vom Gärtnerplatz geschrieben…..Chapeau Herr Rühl!