Die Münchner Szene

Schwabing war ein relativ überschaubares Gebiet. Wegen der nahe liegenden Universität und der Kunstakademie war es ziemlich wahrscheinlich, daß man einem Künstler, einem Musiker, einem Schriftsteller, einem Maler, einem Bildhauer über den Weg lief. In der Kaulbachstraße war die Filmhochschule, in der Clemensstraße die Fotoschule. So trafen sich zwangsläufig Künstler verschiedener Fakultäten und tauschten sich aus.
Es war eben kein Zufall, daß sich Filmemacher wie Wim Wenders, Volker Vogeler, Gerard Vandenberg, George Moorse, Rüdiger Nüchtern oder Matthias „Ufo“ Weiß trafen mit Schriftstellern wie Ulf Miehe oder Kalle Freynik. Es war kein Zufall, wenn man gleichzeitig Maler wie Uwe Lausen oder Bildhauer wie Waki Zöllner auf einem Happening traf.

Wenn nicht in Schwabing, dann allerhöchstens im Crash in der Lindwurmstraße, dort wo der legendäre Discjockey Theo auflegte.

 

Dort saßen wir im Juni 1969 alle auf dem Boden und erlebten ein denkwürdiges Konzert der Pretty Things. Die haben nämlich in Windeseile ihre Instrumente und Geräte in große Koffer gepackt und sind durch die Hintertür geflüchtet. Sie hatten mitbekommen, daß vorne die Polizei steht (warum genau, weiß ich nicht…)

Vorne Irmgard, dahinter in weißer Jacke ich. Neben Irmgard Wim Wenders (mit Schal) und daneben der Filmemacher-Kollege Matthias „Ufo“ Weiß
Phil May, legendärer Sänger der Pretty Things
Schlagzeuger Twink, ähnlich crazy wie Keith Moon

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich erinnere mich an ein Fest in einem Straßenbahndepot im Norden Schwabings, wo man weiße Tücher aufgehängt hatte, auf die farbige Light-Shows projiziert wurden. Der Boden war übersät von Filmschnipseln und Resten belichteten Materials. Dazu hörte man psychedelische Klänge. Gerochen hat es auch gut…

In der Münchner Szene gab es auch merkwürdige Figuren wie den Horror-Charlie, der seinen Namen seinem Aussehen verdankte. Oder die Nachtigall von Ramersdorf, einen bedauernswerten Menschen, der jeden mit seinem glockenhellen Gesang erfreute oder verschreckte. Und natürlich, auch so ein Faktotum von dem hier noch zu sprechen sein wird: George Kerwinski.

Ein buntes Völkchen war das, eine schrille, schräge aber auch schöne Szene.
Vor allem aber: eine Szene, in der man sich füreinander interessierte, sich mit verschiedensten Formen der Kunst beschäftigte und nicht im Tunnelblick des eigenen Schaffens stecken blieb. Wo sich eben Musiker mit Literaten austauschten, wo sich Filmemacher für Musik interessierten. Ob es so etwas heute noch gibt?

Bitte weiterlesen mit Aufbruchstimmung

Gerhard Rühl, 15. Januar 2017

Nachtrag vom Februar 2021:
Am 29.1.2021 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein schöner Bericht über die Schwabinger Szene Ende der 60er Jahre. Leider hat man dabei vergessen, über die wichtige Rolle der Musik zu schreiben. Deshalb habe ich in einem Leserbrief darauf hingewiesen, dass Foto Schwabing die Keimzelle des Münchner Undergrounds war, zumindest in musikalischer Hinsicht. Protagonistin war meine Mutter Irmgard Weigelt, die 1970 in eine (kurzlebige) Ladengemeinschaft eintrat, zusammen mit Adelheid Schuster-Opfermann. Diese ist auf dem SZ-Foto über die Kommune in der Bauerstrasse zu sehen, links hinten.
Wenn Euch der Artikel interessiert: hier ist der link
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-spaziergang-schwabing-68er-bewegung-1.5188628

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