Krisenjahr 1971

Das SHIROKKO ist in höchster Gefahr! Was ist passiert?
Schon bald haben Adelheid und Gaby festgestellt, dass solch ein Laden mehr Arbeit bedeutet, als sie gedacht hatten. Irmgard hingegen hatte zehn Jahre Verkaufstätigkeit auf dem Buckel und wußte was es heißt, täglich diszipliniert im Laden zu stehen. Sie hatte kein Verständnis für die Frauen, und schon gar nicht hatte sie Lust auf endlose Basisdiskussionen, auch „Plenum“ genannt.

Ich will ja niemand diffamieren, man muß Manches eben aus der Zeit heraus verstehen. Aber Sätze wie die, die Adelheid im September 1970 in einem Brief an Irmgard und Gaby schreibt, waren nicht unbedingt vertrauensbildende Maßnahmen:
„ich sehe keine möglichkeit mehr mit gabi und irmgard auf politisch definierter ebene zu kommunizieren. das bedeutet auch dass ich zukunft keine möglichkeit mehr für mich sehe die organisation der läden zu unterstützen.“

 

Anmerkung: mit „Läden“ ist sowohl der „Stern von Afrika“ gemeint als auch die Boutique „Joint“ in der Schellingstraße, die ebenfalls zu Günter Alberts Firma Objects & Posters (O&P) gehört.

 

 

Daß Adelheid keine Lust mehr hat, ließe sich ja noch verschmerzen, aber offenbar hat sie auch bei O&P bereits für Unruhe gesorgt. Denn im gleichen Schreiben erwähnt sie auch, daß „ökonomische Schwierigkeiten die weiterführung der läden in frage gestellt haben“
Prompt kommt zeitgleich von O&P die Aktennotiz: „der Laden muß bis zum 31.12., spätestens bis zum 1.4.1971, reibungslos und ohne finanzielle Verluste arbeiten, ansonsten wird er wieder aufgelöst. Der Joint  wird sobald wie möglich aufgelöst.“

In der Tat läuft der Posterladen nicht besonders. Die Attraktivität der Posters nützt sich eben schnell ab. Während das SHIROKKO gut gedeiht, steht „Stern von Afrika“ immer mehr auf der Kippe. Aber: wenn der Laden aufgelöst wird, muß Irmgard wohl oder übel auch mit ausziehen. Es ist endgültig Feuer unter dem Dach. Ende 1970 ruft Irmgard schließlich mich zu Hilfe. Ich soll den vorderen Laden organisieren, damit das „Feuer löschen“ und gleichzeitig für das Überleben des SHIROKKO sorgen.

Ich kündige also bei Radio-RIM und trete am 1. Februar 1971 als Angestellter ein. Doch das Interesse von O&P am Laden wird eher noch kleiner, jetzt wo ich gewissermaßen „das Sagen“ habe. Nach langen Verhandlungen verkauft schließlich Günter Albert das Geschäft am 1. Mai 1971 komplett an Irmgard zu einem Preis von knapp 60.000 Mark (das entspräche heute, wenn man die Kaufkraft in Betracht zieht, locker eine halbe Million, Euro wohlgemerkt).
Irmgard hat sich nicht nur auf Jahre hinaus verschuldet, sie hat auch die unangenehme Begegnung mit einem Kapitalismus gemacht, der sich zwar „links“ gibt, aber deshalb nicht weniger gewinnorientiert ist.

Auch DER SPIEGEL befaßt sich in der Ausgabe 52/1970 mit genau diesem Thema, das offenbar nicht nur ein Münchner Problem ist.
http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/43801029
Der Artikel ist zwar etwas zynisch verfaßt, auch etwas schlampig recherchiert, aber er schildert die Vorgänge in der Münchner Szene (von der High-Fish-Kommune bis zum SHIROKKO)  doch ziemlich genau.

Der Wind weht uns aber noch weiter ins Gesicht.

Wir verkaufen unter anderem auch Comics, wie die Freak Brothers und die U-Comix. Die sind damals ziemlich populär, nicht aber gerade jugendfrei (das war damals sowieso fast nichts…). Ein erzürnter Vater zeigt uns an und es folgt eine Anzeige an Irmgard wegen der Verbreitung pornographischer Schriften nach $ 184.
Nachdem wir bei einer polizeilichen Durchsuchung kooperativ sind und die „anstößige Ware“ freiwillig herausgeben, wird von einer öffentlichen Klage abgesehen.

Wenigstens etwas. Aber der Ärger geht weiter.

Weil jemand drauf kommt, daß wir aus den USA importiertes Zigarettenpapier ohne die vorgeschriebene Steuerbanderole verkaufen, müssen wir einen Kleinhandel mit Tabakwaren nach § 25 Abs. 5 TabStG anmelden. Wir erwerben die Banderolen nun bogenweise, die sind natürlich weder perforiert noch gummiert. Und wir müssen diese Banderolen in einem Zollraum auf dem Flughafen unter Bewachung einzeln anbringen. Also machen wir uns zu dritt, bewaffnet mit Scheren und UHU, auf den Weg und bekleben eine halbe Nacht lang Zigarettenpapierpackungen.

 

Eines Tages kommt ein Holländer in den Laden, mit einem Stapel LPs unter dem Arm. Es sind (leider illegale) Live-Mitschnitte von Emerson Lake & Palmer und von East Of Eden. Dufte, her damit! Wir preisen die LPs gerne an und so findet sich eines Tages ein Käufer, der eine Quittung verlangt, dummerweise aber die GEMA benachrichtigt.
Es ergeht eine Einstweilige Verfügung an Irmgard, bei „Androhung einer Geldstrafe in unbeschränkter Höhe oder Haftstrafe bis zu 6 Monaten“ den Verkauf dieser LPs einzustellen und die noch verbliebenen Platten herauszugeben. Der Streitwert wird auf 50.000 DM festgesetzt.
Wir haben nie wieder ein Bootleg verkauft.

 

Noch heute wundere ich mich, wie wir diesem dauernden Gegenwind standhalten konnten. Die Bilanz zum 31.12.1971 weist Verbindlichkeiten von 105.000 DM und einen Verlust von 21.000 DM aus, nicht schlecht bei einem Startkapital von 3.000 DM. Aber wir waren beseelt von unserer Idee und haben durchgehalten – offenbar war unser Segelschiff namens SHIROKKO doch stabiler gebaut als gedacht.
Es sollte immerhin noch 44 Jahre halten.

Weiter geht es aber in der Entwicklung des SHIROKKO zunächst hier

Gerhard Rühl, 30. Januar 2017

One Thought to “Krisenjahr 1971”

  1. Dr. Wolfgang Bittmann

    Und genau das ELP Album habe ich damals auch bei Euch von meinem bescheidenen Taschengeld gekauft (aber ohne Quittung …), ich besitze es heute noch. Vielen Dank für die schönen Erinnerungen, und bitte weiter — freue mich schon auf ein Düül-Special.
    Und falls er mitliest, schöne Grüße an Siggi H.!

Schreibe einen Kommentar zu Dr. Wolfgang Bittmann Antworten abbrechen